Prolog
Amendment
Der Wind weht in den Steppen von Nebraska und Kansas kräftig gen Westen und treib die aufsteigende Wärme in Richtung Rocky Mountains. Dort staute sie sich und drückte sich dank der Umwälzung auch in die tiefstenTäler Colorados, was dessen Bewohnern einen unverhofft milden Oktober brachte.
So oder ähnlich erklärt mir die blecherne Stimme der Radiowetterfee vom Sims des offenen Fensters her warum ich mich fühle als säße ich auf Hawaii und nicht im kleinen wie schäbigen Eckzimmer eines ebenso schäbigen Motels, dessen erster Besitzer sich wohl aus der Kombination aus Motel und Bar, sowie dem ansässigen Straßenstrich das große Geld erhoffte, dann aber feststellte, dass Nutten ihre eigenen Betten besaßenund ihre Freier wenig Bock auf ein Bier danach hatten. Diese Tatsache und das sich ausbreitende Industriegebiet einer blühenden Metropole machten die Zimmer für jeden Kriminellen und Landstreicher erschwinglich und für mich zum idealen Versteck.
Verstecke dich unter Anderen und du wirst auffallen wie ein bunter Hund.
Verstecke dich unter deines Gleichem und du bist praktisch unsichtbar.
Die einfachste Version einer Erklärung.
Ein kurzes Seufzen dringt aus meiner Kehle. Zu gern würde ich mich ein wenig mit den Nuten amüsiert, aber man isst bekanntlich nicht wo man arbeitet. Zumal das Risiko bestand, dass doch mal eine schlauer war als sie aussieht und ich meine wirklich schlau nicht clever wie in diesen pseudo- Filmen alias „ein tragisches Schicksal hat mich hier hergeführt.“ Zugegeben diese Chance ist auffallend gering und es wäre für mich ein leichtes Zeugen und Beweise zu beseitigen. Wer würde schon den Abschaum der Stadt vermissen, doch ist der Tod mein Geschäft und nicht Vergnügen.
Ein neuer Luftzug schiebt sich ins Zimmer verschafft mir allerdings keine Kühlung, denn längst ist es im Zimmer genauso heiß wie draußen, da macht es auch keinen Sinn mehr das Fenster zu schließen nur um die Geräusche der Straße aus zusperren. Ich greife nach dem Pappbecher auf dem Tisch neben mir um der Forderung meines Körpers nachzukommen. Längst sind die Eiswürfel Opfer desselben Peinigers geworden und die eh schon gepunschte Cola noch wässriger geworden. Deutlich spüre ich den kleinen Schluck wie er mir die Kehle hinter läuft und einen klebrig-süß prickelnden Geschmack nach Bittermandel im Mund zurücklässt. Meine Zunge fährt über die aufgesprungenen Lippen. Ich genieße diesen Moment, weil er selten ist. Leise dröhnt ein Lied aus der Stereobox zu mir rüber, seltsam vertraut hallt es in meinem Gehörgang wieder.
The world is closing in
Did you ever think
That we could be so close, like brothers
The futures in the air
I can feel it everywhere
Blowing with the wind of change
Take me, to the magic of the moment on a glory night.
Where the children of tomorrow dream away
in the wind of change.
"Sammy komm essen!"
Erschrocken reise ich meine Augen auf, nicht wissend wann ich sie geschlossen habe.
Um ein Haar kippt der alte Holzstuhl, auf dem ich mich zurückgelehnt habe, um. Gerade noch krallen sich meine Finger an der Tischplatte fest.
Mein Herz rast als wolle es dem Gefängnis meiner Brust entkommen, ich spüre den kalten Schweiß von der Stirn abwärts laufen und an meinen Schläfen kitzeln. Die Atmung noch immer flach und hektisch huscht mein Blick durchs Zimmer, sieht und erkennt jeden Winkel. Die Tapete die an den meisten Stellen bereits beginnt abzublättern. Die Stahlkonstruktion mit Namen Bett in der gegenüberliegenden Ecke gleich neben der Tür, auf dem ein schlichter weißer Bezug liegt, daneben das Nachtschränkchen auf dem die Lampe fehlt, den Kleiderschrank neben dem Fenster und schließlich wieder die Holzplatte auf wackligen Beinen vor mir, auf dem die fehlende Nachttischlampe steht und von kleinen Bauteilen, Kabeln, Drähten und einer Werkzeugmappe, dessen Inhalt ebenfalls verstreut liegt, bedeckt ist.
Woher kam diese Stimme? Von draußen, versuche ich mir einzureden, doch mein Verstand weiß es besser. Niemand ruft hier jemanden zum Essen, nicht malzum Scherz. Ausflüchte sind zwecklos, denn nicht zum ersten Mal, wenn auch vor langer Zeit, taucht die Frauenstimme, in meinen Erinnerungen auf, ich bin mir nur nicht sicher woher dieser Gedankenfetzen stammt.
Als es vor Jahren begann, dachte ich es wäre meiner Mutter, doch das waren nur die Gedanken eines einsamen Jungens der weinend am Boden seines Zimmers kauerte und wünschte er würde sterben. Nur Einbildung, genau… alles bloße Einbildung eines gequälten Geistes. Ich bin übermüdet, ganz einfach. Die Tage der Observation haben mich erschöpft, das Schild geschwächt. Ich atme einige Male tief ein und aus, den Blick auf meine weißen Knöchel gerichtet, selbst die vereinzelten Sommersprossen auf ihnen scheinen blasser geworden zu sein. Wenn auch langsam entspannt sich mein Körper wieder und die Farbe kehrt zurück.
Das Lied im Hintergrund endet. Waren wirklich nur ein paar Minuten vergangen? Der junge und hoffnungslos überdrehte Sprecher der Stunde, dessen Quoten-Assistentin, mehr sie scheint wirklich nicht zu sein, über jeden seiner schlechten Witze lachte und ab und an die historische Frauenrechtlerin mimt, meldet sich zu Wort.
„So Leute, wir nähern uns wieder in rasender Geschwindigkeit der Vollen Stunde und ihr wist was das bedeutet. Unser Mann Charlie sagt uns was alles abgeht und wir nicht mitbekommen haben .Wir hörn uns ganz gleich wieder, Little B ist am Start.“
„Es ist 18:00, die Nachrichten. Ich bin Charlie Brown, guten Abend...“
Ich ignoriere Charlies folgende Lügen und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr, der große Zeiger spring in einer Sekunde auf die andere auf die 12. Die Stirn in Falten gelegt schaue ich kurz hinüber zum Fenster, bevor ich aufstehe und hinüber gehe. Er wird wieder unpünktlich sein sagt mir meine Erfahrung, aber ich darf es nicht darauf ankommen lassen.
Auf dem Kleiderschrank liegt ein einfaches Fernglas, mehr brauch es nicht.
Ich nehme es in die Hand und richte meinen neuen Blickwinkel in Richtung Industriegebiet. Am Rand liegt ein großes Gelände umzäunt mit einem 2 Meter hohen Ungetüm aus Stahl, Maschendraht und Stacheldraht. Ein unüberwindbares Hindernis, wenn man nicht gerade eine Roboterarme hintersich hat. Anfangs dachte ich, es wäre schwierig dort einzudringen.
Errare Humanum est, sagten schon die alten Römer. Irren ist Menschlich.
Wie bei vielen Dingen ist der offensichtliche Weg auch gleichzeitig der Einfachste, in diesem Fall das Haupttor. Einen Cardscanner zu manipulieren ist fast so einfach wie kleinen Kindern den Loli wegnehmen.
Alles was man dazu braucht ist ein Laptop, eine Blindcard und einen Systemfehler. Jedes System besitzt Schwachstellen und sei es nur ein Mitarbeiter der nach der Arbeit in einen Stripclub geht und nicht bemerkt wie seine Karte für ein paar Stunden verschwindet. So einfach kommt man an die Zugangsdaten.
Und die Menschen wundern sich ernsthaft noch, wenn ihre Konten und Häuser leer geräumt wurden.
Schade, dass ich die Start- und Landebahnen von hier aus nicht sehen kann, dafür die weniger beeindruckenden Lagerhallen, Labore und die Parkplätze. Ich beobachte das Gelände eine Weile, sehe zu wie Mensch und Maschine geschäftig über den Hof huschen, entdecke aber nichts Ungewöhnliches. Keine verstärke Überwachung, keine Änderung im System. Ahnungslos wie ein Baby, denke ich mir, ganz so wie es sein soll.
Die Zeit rinnt zäh wie Teer in ein Stundenglas dahin. 5 Minuten, 10 Minuten, 25 Minuten. Zähne knirschend starre ich weiter auf die großen Fenster eines Laborgebäude, ich bin von Natur aus ungeduldig und das geht mir ziemlich auf die Nerven. Kann dieser Mann nicht einmal Pünktlich sein? Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sich Little B 5 weitere Male meldet und ich mir mindestens genauso oft überlege das Radio ausversehen aus 2 Stockwerke zu werfen, öffnet sich endlich die Schiebetür und ein Mann mittleren Alters, in dessen braue Militärfrisur sich bereits das grau schleicht, tritt heraus. Den weißen. Kittel lässig über den Arm mit dem Aktenkoffer gelegt, schlendert er über den Platz, grüßt unterwegs zum Parkplatz ein paar Leute. Kurz schiele ich auf die Uhr, wie vermutet. Unmöglich einen Zeitzünder zu verwenden, das machte die Sache um ein Eck komplizierter. Zwischen den Ereignissen durfte nicht so viel Zeit vergehen, die Gefahr wächst mit jeder vergangenen Minute.
Als alte Combi aus meinem Blickfeld verschwunden ist, setze ich das Fernglas ab und kratze mich nachdenklich am, von Bartstoppel bedeckten Kinn. Ich habe keine andere Wahl, ich musste ihn anrufen. Ungewöhnlich schwer liegt das Handy in meiner Hand. Es klingelte, unbewusst halte ich den Atem an, doch nicht lang. Seine vertraut kalte, ruhige Stimme meldete sich.
„Was ist?“
„Ich brauche mehr Zeit.“
„Ausgeschlossen.“
„Es gibt Probleme.“
„Dann lös sie.“
„Sir, in der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit würde jede mögliche Lösung die Erfolgschance undefinierbar verringern.“
„Widersprichst du mir etwa?“
„Nein, Sir. Ich wollte nur auf die Konsequenzen hinweisen, die…“
„Ich bin mir der Konsequenzen durchaus bewusst, verstanden?“
Eine minimale Abweichung im Ton, kaum wahrnehmbar. Denk daran welche Konsequenzen es für dich haben wird wenn du scheiterst. Ruhende Wut.
„Verstanden, natürlich, Sir.“
„Gut. Ich will, dass es Morgen passiert. Sie soll alles verlieren was ihr lieb und teuer ist.“
Ein Klicken in der Leitung und die Verbindung unterbricht. Aufgelegt. Ich taxiere das Handy ein paar Minuten als würde es im nächsten Moment klingeln und jemand etwas Nettes zu mir sagen. Vielleicht diese Frau… Esklingelt nicht, hat es noch nie.
Der Faustschlag trifft mich in der linken Gesichtshälfte und lässt mich einen Schritt zur Seite taumeln. Ich spüre den brennenden Abdruck auf meiner Wange. Obwohl ich meine gesamte Kraft in den Schwung gelegt habe verebbt der Schmerz schnell und weicht einer dumpf pochenden Leere.
Du bist so Naiv. belehr mich eine wispernde Stimme. Dummer, dummer Junge.
Achtloswerfe ich das Handy aufs Bett. Mir blieben nicht mal mehr 1 Tage, zu wenig Zeit sich einen neuen Plan auszudenken und die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Mein Blick fällt auf den einteiligen Arbeitskittel am Türhacken den ich bereits bei meinen letzten Besuchen im Zentrum getragen habe. So lang niemand genauer hinsehen würde, könnte ich auch als Hausmeister durchgehen. Dazu der Bart..., wenn ich also...
Schnell greife ich nochmal auf den Schrank und nehme meine Karte zur Hand. Gezielt fährt mein Finger von Quadrat zu Quadrat. Das könnte wirklich funktionieren. Es läge im Zeitrahmen und Vorbereitung wäre eine Sache von wenigen Stunden, die nötigen Teile hätte ich da. Zugegeben war es Riskant, sehr Riskant. Ein ungetesteter Mechanismus, aber das gehört dazu, ein gewissen Risiko. Langsam geh ich zurück zum Tisch und schaue hinunter auf das ausgebreitete Chaos in dessen Mitte fast fertiger Baussatz liegt. Der anderer ist bereits fertig, dieser bereitet mir schon lange Schwierigkeiten, als wolle eine Kraft im Universum nicht, dass ich ihn vollende.
Mein Blick wandert über die Tischplatte, hinauf zur brennenden Nachtischlampe. Links neben ihr liegt eine Mappe, wie man sie aus FBI-Filmen kennt, schlicht und braun, nur ohne den unauffälligen „top-secret“- Stempel. Einem Impuls folgend streck ich die Hand nach ihr aus. Schnell hab ich gefunden was ich suche. Es war ein Schnappschuss. Das Mädchen auf dem Foto bemerkte mich nicht als ich es vor etwa 1 Woche auf offener Straße von ihr schoss.
Ihre Haltung drückt Selbstbewusstsein aus, wenn auch die hinter dem Rücken gefalteten Hände von zurückgehaltener Freude Zeugen. Aus ihrem Gesicht blitzen dem Betrachter smaragdgrüne Augen entgegen und um ihren Mund spielte ein feines Lächeln. Die Haare fallen in einer einzigen Welle über Nacken und Schulter und bergen ein Rätsel in sich. Ihre Farbe war weder rot noch braun und schimmerte doch kupferrot im Sonnenlicht.
Sie ist hübsch, vielleicht zu hübsch.
Gedankenverloren zeichnet mein Finger die Linie ihrer Haare nach. Ich glaubte Strähnen feinen Haares unter meinem Finger zu ertasten. Zumindest auf diesem Foto sieht es so aus als gelte ihr Lächeln mir. Bei diesem Gedanken atme ich
unbewusst tief ein.
In der Realität sah es natürlich anders aus. Ihr Freund, ein schlaksiger Blondschopf, war ein paar Meter hinter mir aufgetaucht. Träge frag ich mich ob das der Grund gewesen war warum sie mich nicht bemerkte. Ich spüre einen leichten Stich gleich links unterhalb des 4 Rippenbogens.
Je länger ich das Bild dieses Mädchens anstarre umso stärker verspüre ich den Drang etwas zu sagen, mich zu entschuldigen, doch bevor mir klar werden kann wofür explodiert ein Schmerz hinter meinem Trommelfell.
Einem Schraubstock ähnlich zieht er sich um meinem Kopf zusammen, zerdrückt ihn. Ich bin blind. Ohnmächtig muss ich miterleben wie sich der Schmerz in jeden Teil meines Körpers ausbreitet, als hätte jemand mein Blut in Brant gesetzt. Er nimmt mir alles, raubt selbst die Luft zum Schreien.
Minuten später, es kommt mir vor wie Stunden, finde ich mich auf dem Boden wieder. Zusammengekauert, die Hände auf die Ohren gepresst, wie ein Kind, dass nicht hören will wie der Vater seine Mutter verprügelt.
Keuchend ziehe ich mich an der Tischplatte hoch, erneut fährt ein Schmerz wie ein elektrischer Schlag durch meine Glieder. Ich taste nach meinem Becher, aber er entgleitet meinen zittrigen Finger und kippt um.
Erst jetzt bemerke ich das Rot. Die scharfen Kanten des Fotos haben mir tief in ins Fleisch meiner Handfläche geschnitten. Noch fühle ich nichts davon, doch es wird kommen. Tropfenweise fällt das Blut zu Boden und vermischt sich mit Cola. Ich sehe einer der Perlen, auf ihrem Weg der Schwerkraft entgegen, nach, wobei mein Blick das zerknitterte Bild zu meinen Füßen streift. Überall ist Blut. Erschrocken bücke ich mich danach. Beinah zärtlich befreie ich das junge Gesicht vom schmutzigen Rot.
Was tust du da? fragt die wispernde Stimme.
Mitten in der Bewegung halte ich inne.
Es ist nur ein Mensch, hast du das vergessen? Warum sorgst du dich um sie?
Ich begrabe mein Gesicht in den Händen. „Ich weiß es nicht.“ Antworte ich halblaut, während der Schnitt gleichmäßig zu Pochen beginnt.